Wenn Strafverfolgungsbehörden (Polizei, Staatsanwaltschaft, Gericht] jemanden als Zeugen vernehmen wollen, gehen sie davon aus, dass die Person irgendetwas wahrgenommen (gesehen, gehört, gerochen, geschmeckt, gefühlt) hat und deswegen zur Aufklärung des Falles beitragen kann. Das ist für den Zeugen kein Problem, solange er selbst mit der Sache nichts zu tun, sondern beispielsweise nur etwas beobachtet hat. Schwieriger kann es aber dann werden, wenn es irgendeine Verbindung des Zeugen zu der aufzuklärenden Straftat gibt, seien es persönliche Beziehungen zu dem Beschuldigten oder zur Sache selbst oder ein persönliches Interesse an einem bestimmten Ausgang des Verfahrens. Manche Zeugen haben aus verschiedensten Gründen von vornherein kein Interesse daran auszusagen. Andere wiederum wären gut beraten, von einem bestehenden Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen. Zur Verdeutlichung mag folgendes Beispiel dienen:
Ein Patient kommt vormittags mit einer Schnittverletzung ins Krankenhaus. Er wird in der Notaufnahme zunächst ordnungsgemäß versorgt und im Anschluss auf eine chirurgische Normalstation verlegt. Der Patient hat jedoch eine Gerinnungsstörung, aufgrund derer ein erhöhtes Blutungsrisiko besteht. Er hätte deswegen mindestens engmaschig überwacht oder besser gleich auf die Intensivstation verlegt werden müssen. Abends stellt eine Krankenschwester kurz vor dem Ende ihres Dienstes fest, dass der Patient blutet und informiert telefonisch einen Arzt. Dieser verordnet ein Medikament zur Verbesserung der Gerinnung, was jedoch aufgrund der Gerinnungsstörung nicht ausreichend war. Es wäre vielmehr eine weitergehende Behandlung erforderlich gewesen. Der genaue Inhalt des Telefonats zwischen der Krankenschwester und dem Arzt ist nicht dokumentiert. Ob die Krankenschwester den Nachtdienst informiert hat, ist ebenfalls nicht dokumentiert. Aus den Krankenunterlagen ergibt sich auch nicht, ob im Verlauf der Nacht das Pflegepersonal nochmals nach dem Patienten gesehen hatte. Am nächsten Morgen wird festgestellt, dass der Patient verstorben ist. Er ist verblutet. Die Staatsanwaltschaft leitet gegen die beteiligten Ärzte ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung ein. In dem Ermittlungsverfahren wird anhand der Dienstpläne herausgefunden, welche Krankenschwestern und Krankenpfleger zur fraglichen Zeit Dienst hatten. Die Staatsanwaltschaft möchte diese Personen als Zeugen vernehmen, um die Sache weiter aufzuklären.
Es liegt auf der Hand, dass das Pflegepersonal strafrechtlich relevante Pflichtverletzungen begangen haben könnte. Der Arzt könnte die Krankenschwester in dem geführten Telefonat angewiesen haben, in bestimmten Abständen nach dem Patienten zu sehen und zu kontrollieren, ob das verordnete Medikament wirkt. Unter Umständen könnte die Krankenschwester auch ohne eine solche Anweisung dazu verpflichtet gewesen sein. Darüber hinaus könnte sie gehalten gewesen sein, am Ende ihres Dienstes den Nachtdienst besonders auf den Patienten hinzuweisen. In Abhängigkeit davon, ob das im Nachtdienst tätige Pflegepersonal über den Zustand des Patienten informiert wurde, bestand auch für diese Personen eine Verpflichtung, regelmäßig nach dem Patienten zu sehen.
Ob und gegebenenfalls wer sich in diesem Fall strafbar gemacht hat, hängt von den genauen Umständen ab, die zwar die beteiligten Krankenschwestern und Krankenpfleger kannten, nicht jedoch die Strafverfolgungsbehörden.
Zeugen sind grundsätzlich verpflichtet, wahrheitsgemäß über ihre Wahrnehmungen zu berichten. Im Gegensatz zu einem Beschuldigten, der ohne weiteres eine Aussage verweigern darf, muss ein Zeuge aussagen. Ein Zeugnisverweigerungsrecht haben nur die Angehörigen des Beschuldigten (§ 52 StPO), sogenannte Berufsgeheimnisträger (z.B. Geistliche, Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater, Ärzte) und bestimmte weitere Personen über das, was ihnen im Rahmen ihrer Berufsausübung bekannt geworden ist (§ 53 StPO). Ein Zeuge darf jedoch die Beantwortung einzelner Fragen verweigern, wenn er sich im Falle wahrheitsgemäßer Angaben der Gefahr aussetzt, selbst wegen einer Straftat oder wegen einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden. Dieses in § 55 StPO geregelte Recht ermöglicht es einem Zeugen in bestimmten Konstellationen, nicht nur die Beantwortung einzelner Fragen, sondern die Aussage insgesamt zu verweigern. Ob einem Zeugen überhaupt ein Auskunftsverweigerungsrecht zusteht und wie weit dieses gegebenenfalls geht, ist oftmals nicht einfach zu beantworten und bedarf immer einer gründlichen rechtlichen Überprüfung. Die Frage ist häufig Gegenstand intensiver Auseinandersetzung mit den Strafverfolgungsbehörden. Wenn Zeugen die Aussage verweigern, beeinträchtigt dies natürlich die Ermittlung der Wahrheit. Es ist nicht selten, dass Zeugen kein Interesse daran haben (sollten), dass die Wahrheit ans Licht kommt, um eigene Strafverfolgung zu vermeiden.
Wer sich als Zeuge in einer Situation befindet, in der wahrheitsgemäße Angaben die Gefahr eigener Strafverfolgung begründen können, sollte sich vor einer Aussage an einen im Strafrecht erfahrenen Rechtsanwalt wenden.
Das in dem obigen Beispiel genannte Pflegepersonal konnte kein Interesse an einer Aussage haben, weil unter Umständen eigenes Fehlverhalten hätte offenbart werden müssen. Die Betroffenen haben geschwiegen, nachdem die Staatsanwaltschaft nach heftig geführter Diskussion mit dem Zeugenbeistand aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung akzeptieren musste, dass den Personen ein Auskunftsverweigerungsrecht zusteht. Eine strafrechtliche Verfolgung der Betroffenen konnte nicht erfolgen.
Jeder Zeuge kann sich eines anwaltlichen Beistands bedienen (§ 68b Abs. 1 S. 1 StPO).
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